Wie oft in einer Woche erleben wir das? Soll ich
- Option 1: meine Meinung sagen und mir damit einen Feind machen ODER
- Opiton 2: im Stillen leiden – die andere Partei trifft dann womöglich eine subobtimale Entscheidung (unter der alle leiden werden)?
Das Klassiker-Beispiel dafür ist folgendes. Wenn Oma fragt: „Schmeckt dir MEIN KUCHEN“, meint sie in Wahrheit: „Magst du MICH?“ Wer von uns hat nein gesagt? Welche Oma wäre dann nicht beleidigt gewesen? Und so bäckt Oma jede Woche denselben Kuchen in der Meinung, wir würden ihn lieben.
Ein Idiotendilemma (im Original „fool’s choice“) ist so leicht aufzulösen durch die Frage:
„Wie kann ich 100% restpekvoll sein und gleichzeitig 100% ehrlich?“ Das sind die Dinge, die ich immer schon konnte: „Oma, ich liebe dich über alles, du bist einer der wichtigsten Menschen in meinem Leben, aber Kirschkuchen ist nicht so ganz meins, nicht mal dann, wenn du ihn machst. Darf ich mir für nächste Woche einen Kuchen wünschen? Denn dein Apfelstrudel ist der weltbeste!“ Diese Frage zur Auflösung von Idiotendilemmas aus dem Buch formal vor sich zu haben, macht dieses Skill unterricht-bar, multiplizier-bar und auch für Situationen anwendbar, wo man mit seiner „natürlichen Skillsausstattung“ überfordert gewesen wäre. Mein Gott! So einfach! Das ist also meine Lieblingsstelle #2 in einem Buch zu Social Skills, das ich sehr mag: Patterson et al. 2011 (110). Über ein etwas komplizierteres Beispiel (= wo ich echt überfordert war) für ein therapeutisches entweder-oder-Dilemma schreibe ich demnächst.
Lieblingsstelle #3: Path of Action und der Geschichtenerzähler im Kopf. Wenn wir wütend oder verärgert sind, sagen wir Dinge wie: „ER hat mich auf die Palme gebracht!“ oder „SIE macht mich völlig fertig.“ Dabei „passieren“ Gefühle in MEINEM Körper. ICH bringe mich auf die Palme, ICH mache mich völlig fertig.
Ein Beispiel: Ein Kunde fährt in einem anderen (neueren, größeren) Auto vor als bei den letzten Malen. Er hatte um einen Sozialtarif gebeten und um Ratenzahlung, weil er eine notwendige Behandlung nicht auf einen Schlag zahlen könnte. Die Rechnung der letzten beiden Raten ist offen.
Oft fühlt es sich so an, als würden wir (vermeintliche) Tatsachen sehen (das neue Auto) uns dadurch schlecht oder verletzt fühlen und unser Handeln als logische Konsequenz. Um Vermutungen von Fakten zu trennen und unsere Gefühle nicht in Extreme rutschen zu lassen, schlagen Patterson et al. dafür vor, den „Path of Action“ von hinten aufzurollen:
- Wie habe ich mich dem Kunden gegenüber verhalten? (Im fiktiven Beispiel etwa: Ich habe mich in dieser Konfliktsituation vor Silence or Violence fürs Schweigen entschieden. Das Ergebnis war, dass ich dem Kunden gegenüber die ganze Zeit etwas kühler und distanzierter war, als er das von mir gewohnt ist. Ich bin sicher, dass er das gemerkt hat, denn er hat mich gefragt, ob alles in Ordnung ist. Auch da habe ich nichts gesagt. Am Ende hab ich mich blöd gefühlt, und zornig war ich immer noch.)
- Welche Gefühle haben nicht dazu veranlasst, so zu handeln? Kann ich das benennen (Im Beispiel: Wut, sich ungerecht behandelt, ausgenutzt, betrogen fühlen)
- Welche Geschichte habe ich mir erzählt? (Er gibt sehr viel Geld für ein Auto aus, dabei würde es mir auch zustehen, meine Leistungen bezahlt zu bekommen! Der Kunde ist unfair und nutzt mich aus.)
- Was habe ich tatsächlich gehört und gesehen? (Es gibt offene Rechnungen. Ich bin dem Kunden entgegen gekommen mit Ratenzahlung und Sozialtarif. Er kommt heute in einem anderen Auto als bisher.)
Mit Geschichten stricken aus den Tatsachen sind wir schneller als das Licht – man merkt es oft selbst nicht. Das ist der Geschichtenerzähler im Kopf. In Wahrheit sind es unsere eigenen Geschichten, die uns wütend oder ängstlich machen oder uns verletzen. Oft halten wir unsere eigenen Geschichten für Tatsachen.
Du erzählst Dir folgende Geschichte: „Dieses Auto kostet ein Vermögen! Aber für die Behandlung bei mir sind keine 90 EUR übrig. Der hat mich eingelullt, wie blöd bin ich eigentlich?“ Du grenzt Dich ab und nimmst Dir vor, Dich nicht mehr ausnutzen zu lassen. Patterson et al. unterscheiden drei Lieblingsgeschichten:
- Ganovenstory: … erzählen wir meistens, wenn der andere einen Fehler gemach hat. „Alles deine Schuld!“ (Ich war‘s nicht.) Ich übertreibe die Schuld oder Dummheit des anderen. Die andere Person hat schlechte Motive. Häufig verwendet man Labels: „Der Trottellehrer hat mir schon wieder eine schlechte Note gegeben.“
… versetzt mich in die Lage, jedes schlechte Verhalten meinerseits zu rechtfertigen: Der Ganove hat‘s ja verdient. - Opferstory: erzählen wir meistens, wenn wir einen Fehler gemacht haben.
„Meine Schuld ist das nicht!“ (Der andere war‘s.) Ich und mein Verhalten spielen keine Rolle bei der ganzen Geschichte – ich übertreibe meine Unschuld.
Ich bin das Opfer oder sogar der Märtyrer. - Hilflosigkeitsgeschichte: … erzählen wir meistens, um unser gegenwärtiges Verhalten zu rechtfertigen. „Wenn er sich so benimmt, muss man sich ja gekränkt fühlen!“ Es gab gar keine Handlungsalternative. Ich bin machtlos. Häufig verwendet man Labels: „Er ist ein Kontrollfreak (Ganovengeschichte) – da hat es gar keinen Sinn, das mit ihm zu besprechen, er kann damit eh nicht umgehen (Geschichte der Hilflosigkeit).“
… und aus solchen Geschichten werden Wortwechsel wie diese:
- Strategie Angriff „Und nun sind Sie mit den Raten im Rückstand und fahren gleichzeitig mit diesem neuen Auto vor!“ – es geht ums Prinzip; oder „Ich will mein Geld. Wenn Sie mir das heute nicht geben, geht die Rechnung zum Inkassobüro.“ – Drohung
- Strategien Labelling und Sarkasmus „Das Auto kostet mindestens 20 000 EUR, aber meine 90 EUR haben Sie nicht, oder?“
- Strategie Opferrolle, Selbstbeschimpfung = Labelling „Und ich hab Ihnen das geglaubt mit dem finanziellen Engpass und der Liebe zum Menschen. Ich Depp!“
Wir müssen uns daher eine andere Geschichte erzählen, um weniger starke Emotionen auszulösen und mit einem kühlen Kopf handeln zu können. Zwei Ansätze, die mir helfen, die Geschichte von den Fakten zu trennen, sind
a) Warum würde ein intelligenter, rechtschaffener, gerechter Mensch so etwas tun? – Brainstorming für harmlose Geschichten
Es kann 1000 Gründe haben, warum der Kunde heute nicht mit seinem Auto kommen konnte. Vielleicht hat ein Freund mit ihm für eine Woche Auto getauscht, weil mein Patient eine Jahresvignette für Tschechien hat und der Freund dorthin muss? Aus dieser möglichen Geschichte ergeben sich ganz neue Handlungsalternativen – erstmal Tatsachen und Geschichten checken:
- „Wow, was für ein schicker Wagen!“ (Share my story, und zwar ohne Sarkasmus) Kann sein, der Kunde versteht den Hinweis und antwortet: „Ja, das ist der von meinem Nachbarn. Zu allem Unglück hat meine Rostlaube vorgestern schlapp gemacht und ist in der Werkstatt. Mein Nachbar war so nett und hat mir sein Auto geborgt, damit ich zur Behandlung kommen kann. Total nett.“ … und dann wäre an der Stelle die Story schon geplatzt: Ich werde nicht ausgenutzt.
- Kann sein, der Kunde versteht den Wink nicht und sagt: „Allerdings! Ein X5! Was für ein geiles Teil!“ Strategie nachhaken (ich stelle zuerst sicher, dass meine Geschichte tagsächlich stimmt): „Ist das Ihrer?“ – „Nein, selbstverständlich nicht! Sie wissen doch, dass ich mir sowas nicht leisten könnte!“ ODER er sagt:
- „Ja, ich dachte, ich gönn mir mal was.“ – Und das wäre dann der Moment, in dem man seine eigene Geschichte auf den Tisch legt:
b) Art und Weise: Zurück zum Idiotendilemma – Wie kann ich 100% ehrlich und 100% restpektvoll sein? Plus inhaltlich drei Fragen –
- Was will ich für mich? Ich möchte für mich, dass er die Raten pünktlich bezahlt, denn zusätzlich zum Sozialtarif nun auch noch Aufwand mit Mahnverfahren zu haben, geht über meine Grenzen.
- Was will ich für die andere Person? Dass sie ihre Behandlung fortführen kann, weil sie sie dringend braucht, und zwar am besten jetzt und nicht erst in ein paar Monaten.
- Was will ich für unsere Beziehung? Dass wir beide uns miteinander wohl fühlen und uns möglichst ohne zwischenmenschliche Spannungen auf unser gemeinsames Ziel konzentrieren können.
Wenn ich mich an diese einfachen Schritte halte, ist das Ergebnis selten Silence (etwa vor mich hin grummeln) or Violence (Angriff, Drohung, Mauern hoch gegenüber dem Kunden) – ich kann in Kundenbeziehungen damit professioneller und im Privaten konstruktiver sein. Wichtig ist mir zu abschließend sagen:
Skills sollte man nicht gegen andere verwenden („Person xy hält sich nicht an das Buch von Patterson!“ – und damit die nächste Ganovenstory stricken), sondern nur für mich und mein eigenes Sortieren, also zur Verbesserung von Kommunikation und nicht als Waffe – nicht im Außen, aber auch nicht im Innen.
Das Büchlein ist keine Behandlung für Persönlichkeitsstörungen oder Waffe zum Kampf gegen andere psychiatrische Diagnosen; es ist für jeden Menschen da, der mit anderen Menschen interagiert – beruflich oder privat. Die Beispiele im Buch sind eingänglich und sehr breit gefächert. Ich mag den Newsletter der Autoren sehr gern: Anhand eines Leserbrief-Beispiels gibt es konstruktive Fragen oder Tipps für ganz konkrete Situationen, und mir tut es gut, mir regelmäßig anhand von diesen Fallbeispielen gewaltfreie Kommunikation ins Gedächtnis zu rufen. Ist das nun alles übersetzbar in eine DIS-/DDNOS-Welt? Darüber schreibe ich demnächst.
Social Skills – Welcher Ratschlag Deiner Oma oder welcher Dialog mit Deiner Lehrerin oder welche tiefschürfende nächtliche Unterhaltung in einer Bar oder welches Skill aus einer Traumaklinik hat Dir bisher in Deinem Leben am meisten geholfen? Bitte tipps mir in den Kommentar…
Patterson, Kerry (Eds.) (2012): Crucial conversations. Tools for talking when stakes are high. New York: McGraw-Hill // Literaturempfehlung: ***** (von fünf Sternen)
Hi, S
tatsächlich war es ein ähnlicher Tipp einer Freundin, nämlich öfter mal einen Realitäts-Check zu versuchen, bevor man still vor sich hingrummelnd verschwindet und sich die wüstesten Geschichten ausdenkt (Unsere Spezialität :D)
Unendlich peinlich, vor allem, wenn es öfter vorkommt (öhm, leider…), aber meist sehr hilfreich…
Liebe Grüße, B
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Was genau machst Du bei einem Realitätscheck?
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1. Das geht grad nur bei bestimmten Leuten, die wissen, wies bei uns steht, bzw. dass es ein Wir gibt, weil es uns so sehr peinlich ist – warum auch immer.
2. Tja, wie machen wir das?
Leider schaffen wir das meist nicht sofort.
Es scheint da so was wie eine Sperre zu geben. Meist fällt es uns erst später auf.
Ich weiß nicht, ob du das auch kennst.
Jemand sagt etwas, du denkst so was wie: Aha… Und dann: nix. Kein Kommentar. Irgendwie auch kein Gefühl dazu? Ganz seltsam.
Oft so bei unserer letzten Therapie so gewesen. Auch bei der Beratung, die wir grad machen.
Später, dann, meist schon im Auto, Geheule oder/und Gewüte im Innen.
Dann erst merkt man, was dieser Kommentar mit einem gemacht hat.
Haben grad was von Dami Charf darüber gehört… Wars jetzt was mit erstarren oder wars erlernte Hilflosigkeit, so nach dem Motto: Ich brauch eh nix sagen, interessiert ja eh keinen, was ich denke? Oder will? Ich hab ja sowieso nicht Recht, weil der andere hat ja Recht? Immer! Kopfeinziehen und nichts sagen…
Und dann muss man versuchen, das beim nächsten Mal anzusprechen, was in letzter Zeit bei der Beraterin schon mal klappt.
“ Wie haben Sie das gemeint? „“
Am besten noch: “ Es ist so und so bei uns angekommen…“
Das fällt aber noch schwerer. Weil wir das Gefühl haben, wir geben uns damit eine Blöße, die der andere ausnutzen kann?
Bei Freunden ist es noch mal ein bisschen anders.
Da gibt’s sofort irgendwelche angstgespeisten Theorien ( Die meinen das BESTIMMT so und so!), aber keiner will so recht wissen, ob es tatsächlich so ist, weil die Kleinen panische Angst davor haben, dass es so sein könnte, dass sie Recht haben mit ihrer Befürchtung…
Worst case Szenario…
Das dann anzusprechen ist Championsleague, und wir sind mächtig stolz, wenn es gelingt…
Das sind hochemotionale Augenblicke, mit so viel Angst, und natürlich liegt man auch schon mal richtig mit seiner Befürchtung.
Genauso oft allerdings auch nicht…
Puh, echt schwer grad…
LG B
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