131 Innenkommunikation bei dissoziativer Identitätsstörung – how to? Das sagen die Lehrbücher.

Ich habe meine Diagnose seit Kurzem und befinde mich in einer Phase, wo ein Anteil sehr engagiert, motiviert, optimistisch, wissbegierig ist. Den interessiert:

  • Wie kann ich in Kontakt mit den anderen kommen,
  • wie genau kann ich lernen die Stimmen/Anteile/Bedürfnisse zu unterscheiden und zu erfüllen.

Ich meditiere zwar schon und versuche einen Konferenzraum zu gestalten, doch das klappt alles nicht so, wie ich gedacht habe. Welche konkrete Ideen/Methoden kann ich anwenden?

Du hast ja den Pullikauf (004) erwähnt, das war sehr inspirierend für mich, jedoch klappt das noch nicht so für mich. Meine Betreuerin meinte mal: also so, wie sie die Anteile herbestellen, da würde ich auch nicht kommen wollen.‘ Seitdem arbeite ich an einer liebevolleren Zusammenarbeit, jedoch habe ich den Eindruck, dass das eben eher kopflastig und erzwungen ist, statt frei mit meinem inneren Team verbunden zu sein.

von jemandem per Email

Meine erste Reaktion war: Ich kann keinen Artikel über Innenkommunikation schreiben, weil ich sie selbst weder ausrechend verstehe, noch ausreichend anwenden kann. Meine zweite: Das ist halt die Natur von DIS – die amnestischen Barrieren, der eine Anteil weiß nicht, was der andere tut, und widersprüchliche Wünsche im System. Hier kommt, was in den Lehrbüchern steht, was davon für mich funktioniert hat, was abgewandelt werden musste und wie mein Einstieg in eine bessere Innenkommunikation am Ende doch noch ein Erfolg wurde.


Die Klassiker aus den Lehrbüchern

In Traumalehrbücher ist die verbreitetste Idee jene des inneren Konferenzraums. Mir wurde sie von meiner Psychiaterin erklärt und als Hausaufgabe mitgegeben. Monatelang versuchte ich täglich in einer ruhigen Minute, „alle Anteile“ an einen imaginären Tisch zu bekommen, damit die dort miteinander reden könnten. Für mich hörte sich die Idee gut an! Ich wollte! Aber sonst niemand. Monatelang haben meine Körpermitbewohner den Konferenzraum boykottiert. Irgendwann hab ich gefrustet aufgegeben. In United States of Tara sah ich einen solchen inneren Konferenzraum auf meinem Fernsehschirm – da wollte ich wieder! Erneut tägliche Bemühungen – ohne großen Erfolg leider. Ich konnte aber in Erfahrung bringen, dass einige Anteile sich mit anderen nicht an einen Tisch trauen – die Formulierung „alle“ Anteile meiner Psychiaterin wirkte einschüchternd.

Eine andere Idee ist die eines inneren Hauses. Dabei braucht kein Anteil einem anderen zu nahe zu kommen: Jeder Anteil bewohnt in einem imaginären Haus einen eingenen Raum, gestaltet nach seinen Bedürfnissen und Vorlieben. Mein Innenkommunikationsversuch sah so aus, dass ich aus ∑ich einmal täglich an die Tür geklopft habe bei bestimmten schweigsamen Anteilen mit der Frage, ob es ihnen gut geht und ob ich ihnen irgendwie helfen kann. Nicht geklappt hat der Teil, wo solche Anteile mir hätten antworten sollen – für mich war’s also ähnlich frustig wie der Konferenzraum. Auch wenn ich diese Imaginationsübung heute nicht mehr mache, war sie ein wichtiger Schritt auf meinem Weg zur Innenkommunikation: Bei einem (oder mehreren?) traumabelasteten, schweigsamen Anteilen kam eine Art Gefühl auf von… „Da ist jemand, der sich kümmert.

Ein Kontaktbuch ist eine Art Tagebuch, in das jeder Anteil etwas heineinschreiben darf. Ich habe es nie versucht, denn Tagebücher sind ein lebenslanger Begleiter für mich – und somit gibt es dafür schon seit Jahrzehnten etablierte Regeln: Ich lasse mir ungern von anderen aus ∑ich mein Tagebuch zerstören oder verunstalten. Das Kontaktbuch passt daher für mich nicht.
Ich führe nun schon das vierte… ich nenne es lieber Organisationsbuch oder Bullet Journal. Hier gibt es ähnliche Regeln wie bei meinen Tagebüchern früher, allerdings bemühe ich mich, für andere Dinge zu notieren oder Ausmalbilder für andere aus ∑ich zu gestalten; ich sammle dort meine Gedanken zu bestimmten Themen und lasse gern auch andere aus ∑ich zu Wort kommen. Mein Buch enthält also Inhalte von mehreren aus ∑ich, aber es ist immer noch mein Buch und „die anderen“ sind dort Gäste.

  • Mein Buch ist sehr hilfreich beim Koordinieren meiner Arbeits- und Freizeit (046).
  • Mein kreatives Gekritzel dort beruhigt wütende Anteile.
  • Das tägliche bewusste Einchecken mit möglichst vielen Anteilen und auch das Festhalten von „Wie geht es dir?“ (121) ist ein verbindendes Element geworden, das eine wichtige Basis zur inneren Rücksichtnahme bildet.
  • Für manche Anteile ist es eine neue Erfahrung, Raum zu haben: Sie dürfen selbst entscheiden, ob ein bestimmtes Kästchen (etwa „heute habe ich geweint“) ausgemalt werden soll oder darf – ohne dass ein anderer Anteil dreinredet. Wenn sie diesen Raum nicht einnehmen, dann kommt nicht sofort ein anderer Anteil, der dieses Kästchen beansprucht. Das Buch klappt streng nach dem Credo: Nichts muss! Anteile dürfen Dinge für sich behalten (um Gottes Willen! Nicht dreimal täglich ausquetschen!), aber das Buch ist ein sicherer Rahmen geworden für Mitteilungen aneinander.
  • Es sind so viele kleine heilsame Erfahrungen mit meinem Buch verbunden, ich kann sie gar nicht alle aufzählen.

Fazit: Die typischen Lehrbuchideen waren für mich einen Versuch wert, aber haben nicht den Durchbruch schlechthin gebracht. Bevor Du irgendein Buch von Fachleuten zum Thema kaufst oder liest – hier findest Du wichtige Tipps dazu: 007 (Darf man Lehrbuchideen abwandeln? Wie lange soll ich eine Idee ausprobieren? etc.)

Heute in einer Woche erzähle ich von den wichtigsten Erkenntnissen zur Innenkommunikation, die ich gehört habe (133), und wie ich endlich meine Innenkommunikation verbessern konnte.


Wie waren Deine Erfahrungen mit dem Konferenzraum, dem inneren Haus und Kontaktbüchern? Ich freue mich auf Deine Erfahrungen…

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18 Kommentare Gib deinen ab

  1. lunis sagt:

    Mir geht es ähnlich wie dir. Konferenzraum? Nope.
    Tagebuch? Oh nein geht gar nicht! Das darf man doch nicht.
    Sie verschwinden, werden zerstört oder können (dürfen?) nicht benutzt werden.
    An die Tür klopfen? Und dann? Tue ich für Therapeuten so, als hätte ich eine Antwort erhalten, weil das von mir erwartet wird. In Wahrheit ist da———-nichts…..

    Füruns ist der Blog eine wichtge Stelle geworden. Beinahe ein tagebuch.
    Scheinbar mach das in elektronischer Form nicht so viel Stress, wie ein Buch mit Papier.
    Da kann auch untereinander geschreiben werden, was bisher nie möglich war.
    Absurd, oder? Weil man bedenkt, dass das öffentlich ist. Darüber kann ich nur den Kopf schütteln. Absurd. Ist aber so.
    Kann ich als gute Erfahrung anpreisen.

    Ansonsten kommt Kontakt hier immernoch eher zufällig zustande. Vielleicht weil einThema vom Außen mehrere interessiert. Die Frage nach „gehen wir ein Eis essen?“ zum Beispiel. Dann werden kleine Ohren sehr lang und dann kann manchmal auch Kontakt hergestellt werden, sich gegenseitig (zu)gehört werden.

    Mehr fällt mir gerade nicht ein. Viele Grüße

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  2. Birke E. von ZEiTENMOSAiK sagt:

    Ich muss erstmal überlegen, ob ich mit innerem KonferenzRaum oder Haus schon Mal in Berührung gekommen bin… Glaube nicht… War auch in der Therapie nie Thema…

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    1. … was hast du / habt ihr stattdessen?

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  3. Pauline-s sagt:

    bei uns isses weitaus leichter, wenn wir nicht handschriftlich miteinander kommunizieren, sondern tippend. das ist mit weniger outing durch individuelle schriften verbunden. zwar können wir uns auch tippend mehr oder weniger erkennen, aber da ist nicht so viel manuelle beweiskraft.

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    1. 100% nachvollziehbar! Bei mir wird die Handschrift oft ausgeblendet – und dann erschrecke ich mich doch hinterher, so wie bei den Notizen zum KAWA-Modell in der Ergo letztens, die ich hier gepostet hatte – da ist es mir erst hinterher aufgefallen… lg s.

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      1. Marianna sagt:

        Was meinst du mit Handschrift ausblenden?

        Wir schreiben für die Therapeutin in Hefte. Aber das ist nicht unsere Lösung fürchte ich.
        Ich treibe das sehr voran, A. Schaut gar nicht rein, weil sie Angst davor hat.
        Also schreiben nur 3 oder 4 von uns, darunter 1 Kind und eine Boykott-Teenie.
        Die Hefte werden regelmäßig zerstört. Einmal landeten sie als 1000 Schnipsel im Briefkasten der Therapeutin. Peinlich!!!
        Trotzdem sehe ich gerade keine andere Möglichkeit.

        Handschriften sind bei uns alles von sehr unterschiedlich zu ganz ähnlich. Das ist verwirrend. Ich sehe nicht durch.

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        1. Hallo Marianna,
          ich sehe die unterschiedliche Handschrift, aber ich bemerke sie nicht. Oder erst sehr viel später, nachdem ich das geschrieben habe. Und wie Du siehst: Bei mir ist sie schon deutlihc zu unterscheiden!
          Ins Bullet Journal („Kontaktbuch“) schreibt meistens nur eine, aber die notiert die Gedanken „der anderen“. Oder die anderen notieren sie selbst auf Postits, die im Journal kleben.
          Tippen tun mehr als nur sie.

          OMG das mit den 1000 Schnipsel ist echt… ups.
          lg s.

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  4. Anonymous sagt:

    Hallo &guten Morgen,bin sprachlos weil DAS mal wieder ganz klasse beschrieben wird…genau so kennen wir das auch…alles nicht so einfach!
    Danke!⚘

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    1. Hallo, niemand hat gesagt, dass leben einfach ist – auch für Einsmenschen ist es das nicht. 🙂 Nicht aufgeben… Danke für Dein Feedback, das freut mich sehr.

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  5. Crushed sagt:

    Danke für diesen Eintrag!Genauso ist DAS…alles nicht so einfach!
    Grüsse⚘🌼🌻

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  6. Alle die von dir genannten „Klassiker“ sind hier bekannt und auch in verschiedensten Formen immer wieder mal zur Anwendung gekommen. Manche waren hilfreich, andere nicht. Manche waren ein- oder mehrmals hilfreich und funktionierten dann wieder nicht mehr.

    Das klassische Tagebuch war z.B. so ein Kandidat, der gar nicht ging. Dagegen hat das ganze als Diskussionsbuch sehr gut funktioniert. Und das wird heute sogar noch weiter verwendet. Hinzu ist hier das Blog und eine lokale Schreibdatei gekommen, die ebenfalls gut funktionieren.

    Der innere Konferenzraum, inneres Haus, innere Welten und ähnliche Dinge sind über bestimmte Zeit ganz wichtig gewesen, werden heute allerdings nur noch selten in Anspruch genommen. Einzig und allein der innere sichere Ort wird hier weiterhin sehr regelmäßig genutzt und dient in den meisten Fällen nur noch dazu zur Ruhe zu kommen – da unsereins & me sich finanziell leider nicht erlauben kann diesen Ort immer wieder real zu besuchen.

    Das Thema der Innenkommunikation ist dabei so vielschichtig, wie wir als Betroffene sehr unterschiedlich sind und daher ist sicher ein gewisses Maß an herumprobieren nötig, bis man den für sich richtigen Weg gefunden hat.

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    1. Hallo deinereiner&you, schon spannend, wie mächtig Sprache ist, gell? Tagebuch geht gar nicht und Diskussionsbuch sehr gut. Was genau hat den Unterschied ausgemacht? lg s.

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      1. Tagebuch fand hier faktisch jeder wie ein unnötiges Wiederkäuen. Es war ja den Tag über erlebt worden. Es war Innen (irgendwie) geklärt, gelöst, abgearbeitet. Es beschäftigte sich mit dem was vergangen war und half nicht die Innenkommunikation zu fördern. Alle machten dicht.

        Das Diskussionsbuch dagegen beschäftigt sich mit aktuellen und kommenden Dingen. Wie stellt sich unsereins & me auf Kommendes ein? Wie ist die Position der Einzelnen zu etwas, so dass bei erneutem Auftreten einer Herausforderung diese nicht mehr als Problem wahrgenommen werden? Wie schätzt X, Y oder V etwas ein und wie kann ich zeigen, dass sie sich beachtet und sicher fühlen? usw.

        Klar kann man den Blog als Tagebuch definieren – das ist in dieser Hinsicht für unsereins & me absolut genug und behandelt mittlerweile wenn möglich große Blöcke aus der Distanz heraus. Deswegen fällt es auch immer schwerer, wirklich (tages-)aktuelle therapeutische Themen dort zu schreiben und es wird sich häufiger auf Beiträge anderer Blogs bezogen um die eigene bereits erarbeiteten Dinge zu vermitteln. Die aktuellen Themen im eigenen Blog sind dann wirklich auf spezielle Erlebnisse bezogen, die unsereins & me anderen mitteilen möchte. Ein persönliches (geheimes) Tagebuch im klassischen Sinne wird hier also nicht geführt.

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        1. Hallo ihr, vielen Dank für die Erklärung – das ist dann inhaltlich ja ganz was anderes als ein Tagebuch. Alles Liebe, s.

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  7. die Sturmreiter sagt:

    Au weia, wir sind ja mal wieder ganz anders, was das angeht…
    Das war ganz lange ein Grund, an uns zu zweifeln…
    Das und dass B sich von Anfang an nie nich vor uns gegruselt hat…
    Und das tun die Großen hier in den Blogs irgendwie alle. Oh wei. oh wei…
    Wir haben hier überhaupt kein Problem zu reden, allerdings sind wir manchmal so nah zusammen, dass man überlegen muss, wer das jetzt sagt oder denkt.
    Ach ja, und das gibt drinnen sagen UND denken.
    Denken geht schneller als sagen. Manchmal will man was sagen, aber dann ging das mit dem denken schneller und dann is das sagen zu spät 🙂 weil nämlich wir hören??? auch das denken von den anderen… 😉
    Tagebuch schreiben tun wir auch, wenn was wichtiges is, oder auch wenn was klar werden soll.
    Dann kann man nämlich aufschreiben, was jemand sagen will oder fühlt und dann geht das manchmal besser und man wundert sich, wer da plötzlich sagt, das der ein Problem hat, weil vorher hatte man nur ein komisches Gefühl im Bauch und sonst nix.
    Das machen wir am Computer. Und manchmal, wenn das ganz feste doll gruselig is, legt sich B auf das Sofa und tröstet und fragt, was los is.
    Das kommt manchmal ganz schön oft vor, und dann is J immer stinkig, weil wir nich so viel schaffen, wie die gern hätte.
    Also so is das bei uns
    K und L

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  8. Das innere Haus ist bei uns der Schlüssel gewesen.
    Vorteil daran war, dass es schon immer existiert hat, ich/wir mussten es nie neu kreieren wie den sicheren Ort zb. Allerdings hat es früher nie dazu gedient die Innenkommunikation zu erleichtern oder zu ermöglichen, es schien quasi funktionslos (auch wenn es schon längst seine Funktion hatte).
    Durch genug (Vor)Arbeit in allen Bereichen und ein spezielles Ereignis wars dann aber irgendwann geknackt. Ab da hatten wir die (wie ich es nenne) Rohrpost.

    Auch wenn mal die meisten in ihren Zimmern sind oder nicht rauswollen, traut sich dann doch der/die ein/e oder andere/r was in die Rohrleitung zu flüstern. Vor den Türen hab ich leider seltener Erfolg, aber ich verstehe gut dass es sich über die Rohre weniger fordernd, diskreter und geschützter anfühlt.

    Es hat mich so glücklich gemacht als die Kleine kurz vorm einschlafen als ich ihr gute Nacht „dachte“, das erste Mal gute Nacht Mama zurück geflüstert hat. Ich saß senkrecht und weinend im Bett (positiv!!)

    Mit dem Tagebuch sind wir zur Zeit noch am experimentieren.

    Ich bin auf jeden Fall sehr dankbar dafür dass es vielfältige und auch überraschende Wege und Möglichkeiten gibt dazu zu lernen, zusammen zu wachsen.

    Liebe Grüße (:

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    1. Hi Jane, entschuldige bitte meine späte Antwort. Ich kenne solche Momente der inneren Rührung, wie Du es beschreibst. SChön ist das, gell? lg s.

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  9. Schlendrian sagt:

    Uns half damals ein Buch, in das jeder schreiben und lesen konnte. Wir nutzen das heute noch, weil wir nicht zu allen Kontakt haben. War für uns eigentlich das Nonplusultra.

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