[…] Das Schlimme daran ist: Es besteht zu keinem Anteil eine Verbindung. Wir versuchen über Bücher zu kommunizieren aber niemand antwortet. Nein, es wird durchgestrichen, übermalt oder kaputt gemacht. [….] Wir sind seit Jahren in Therapie […]. Wir haben ein ganz großes Thema: Wie können wir mit den anderen Anteilen kommunizieren bzw. in Kontakt treten?
per Email am 5.11.2018
Hallo Ihr,
Ich erinnere mich, dass in der Zeit nach meiner Diagnose das Thema Innenkommunikation für meine damalige Therapeutin sofort zu oberst auf dem Tisch lag. Warum? Ich hatte und habe sehr viele Alltagsamnesien und hatte und habe ziemlich große Schwierigkeiten mit innerer Rücksichtnahme. Innenkommunikation auf Knopfdruck anzukurbeln hat nur bedingt funktioniert – andere Wege klappen inzwischen ganz gut. Zu Deiner Frage: Man kann nicht nicht kommunizieren. Auch ein
- Durchstreichen (Warum kann das nicht stehen gelassen werden? Ist es bedrohlich? Ist es nicht wahr? etc.),
- Übermalen (In welcher Farbe? Mit welchem Matierial? So kommst Du vielleicht an Lieblingsfarben des Anteils und kannst ihm die öfter zur freien Verfügung stellen.),
- Zerstören (Wenn etwas zerstört werden muss, ist bei mir immmer (!) große Angst dabei – da gilt es rauszufinden, was die Angst macht… und die führt fast immer nach Traumatime.), und sogar
- Boykottieren (Warum hat dazu niemand eine Meinung? Ist das Thema zu komplex? – das war bei mir der häufigste Boykottgrund).
… ist Innenkommunikation! Will sagen: Du hast da schon gute Innenkommunikation. Halt nicht nach Lehrbuch. 🙂
Alles Liebe schickt s.
Was bisher geschah. (131) Bitte verzweifle nicht, wenn die klassischen Lehrbuchideen (innerer Konferenzraum, inneres Haus, Kontaktbuch) zur Innenkommunikation bei Dir nicht auf Anhieb funktionieren. Es ist dann Zeit, eigene Wege zu entwickeln, zu gehen und zu üben.
Das war für mich der wichtigste Input von außen zum Thema Innenkommunikation.
Nicht nur Worte sind Innenkommunikation. Ich kenne neben Gedanken in Wortform außerdem noch:
- Innere Bilder oder innere Filme, Gedanken, die immer wieder scheinbar zusammenhanglos auftauchen. Beispiel: Ich bin monatelang in Gedanken während und nach Therapiestunden imaginär mit voller Wucht gegen die geschlossene Tür meiner Therapeutin gelaufen.
- Darunter fallen auch Flashbacks – da möchte ein traumainformierter Teil mit den Alltagsanteilen Information teilen, oder seine Verzweiflung darüber. Beispiel: … Monate später hat sich erstmals ein Erinnerungsbruchstück als Flashback gezeigt, der eine ähnliche Situation mit einer Tür beinhaltet. Seitdem tauchte nie wieder der Gedanke, gegen eine Tür zu laufen, in der Therapiestunde auf – als hätte mein Gehirn es zuordnen können.
- Wünsche können auch Innenkommunikation sein. Beispiel: Ich verstehe nicht, warum ein Anteil sich immer wieder imaginiert, auf die Akutpsychiatrie zu gehen. Für mich sind Krankenhäuser creepy. Ich interpretiere es so, dass der Anteil gerade in Not ist und nicht weiß, wohin damit.
- Geschriebene Notizen wie etwa die Postits mit wiederholtem Text: „Ich will tot sein.“ … die ich immer wieder mal finde; früher rund um mein Bett, heute eher ins Bullet Journal geklebt. Für mich aus ∑ich ist es immer noch schlimm, auf diese Art zu erfahren, dass ein Anteil maximale Verzweiflung erlebt, ohne dass ich das mitbekomme. (107) Manchmal schreibe ich eine Frage in mein Organisationsbuch und versehe die Seite mit mehreren Postits in verschiedenen Farben. Es kam schon vor, dass jemand aus ∑ich sich „das pinke!“ ausgesucht hat und da draufgeschrieben haben wollte „Ohne mich!“ – ich habe mir angewöhnt, mich auch für solche Antworten zu bedanken. 🙂 Jede Antwort ist besser als keine.
- Selbstverletztendes Verhalten oder Quälen des Körpers sind jene Form der Innenkommunikation, die ich am füchterlichsten finde und gern durch andere Kommunikationswege ersetzten würde. Ich habe einen Anteil, der weniger als einmal im Monat aktiv ist, dem Körper willentlich Schmerzen zufügt und mich dabei in Gedanken anbrüllt: „So war das damals! Schau! So!“ (064) Ich bin noch dabei, für diesen Anteil eine bessere Kommunikationsform zu finden.
Was hat mir am meisten geholfen, die Innenkommunikation anzukurbeln?
Im Nachhinein kann ich sagen, dass mehrere aus ∑ich einen Konferenzraum und vergleichbare Ideen blöd fanden, weil sie das Ziel nicht verstanden hatten. Da soll man sich mit Anteilen an einen Tisch setzen, vor denen man vielleicht Angst hat – aber wozu? Es hat sich herausgestellt, dass es wesentlich mehr Sinn macht, mit einer konkreten Frage zu kommen und die gedanklich zur Diskussion zu stellen (nicht mit der Erwartung, dass da sofort etwas retour kommt, sondern vielleicht erst in ein paar Wochen – meine Körpermitbewohner haben mich da Geduld gelehrt…)
Die wichtigste Erkenntnis war: Ich habe eh schon viel Innenkommunikation! Nicht mit „allen“ Anteilen, aber das Alltagsteam ist bei mir ziemlich gut koordiniert, die Art seiner Kommunikation aber oft chaotisch – Gebrülle durcheinander in meinem Kopf. Hier fand ich einen guten Startpunkt: Ich habe versucht, ohnehin vorhandene Innenkommunikation aufzuschreiben (Beispiel hier: 084). Mit der Zeit konnte ich die einzelnen Gedanken und Argumente bestimmten Anteilen zuordnen.
Und das führt auch gleich zum nächsten Punkt: Für mich ließen sich die ersten Schritte der Innenkommunikation nicht trennen vom Benennen einiger Anteile, die häufig im Alltag unterwegs sind. Ich habe versucht, aus der chaotischen Streiterei in meinem Kopf eine erste Version einer beweglichen inneren Landkarte (118 und 002) zu machen. Diese Zuordung („Wer denkt das überhaupt?“) klappt nicht immer, aber allein die Auseinandersetzung damit ist hilfreich.
Erst nachdem ich gelernt hatte, dass es so viele Formen der Innenkommunikation gibt, war mir klar, dass ich ganz schön viel Innenkommunikation hatte – nur wie kann ich sie in eine konstruktivere Richtung lenken? Davon erzähle ich heute in einer Woche. (135)
Welche Formen von Innenkommunikation kennst Du aus eigener Erfahrung? Wie kommuniziert Ihr miteinander? Was würdest Du gerne ändern, wenn Du könntest? Ich freue mich auf Deine Erfahrungen…
Beitragsbild: „Born into a Pride of Lions“: Löwenkind hält männlichem Verwandten die Augen und Ohren zu – Rudelkommunikation. 😉 Geschossen in Afrika 2018.
Wow! Danke für diesen wunderbaren Beitrag!!! So weit habe ich noch nie gedacht, was alles zur Kommunikation dazu gehört. Aber klar, du hast recht! Da ist ja eigentlich schon ganz viel.
Danke!!!
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Danke fürs Feedback, das freut mich! 🙂
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Hey hey,
toller Text!
Und – ja. so ist es bei/für uns auch. Kommunikation ist mehr als „nur“ ein „Frage-und-Antwort-Spiel“. Je offener wir den Begriff „Kommunikation“ halten, desto mehr erkennen wir uns/einander im Austausch. Was uns hilft ist der Gedanke, dass wir bereits vor dem Wissen Viele zu sein irgendwie kommuniziert haben (müssen). Symptome, Reize, Impulse, kleine Dinge die „plötzlich im Raum stehen“, Ausseinandersetzungen bei denen immer wieder neue Aspekte hinzukommen… Chaotisch wirkt unsere Kommunikation vor allem dann wenn wir an unserer Kommunikation zweifeln oder sie in einer Form suchen, in der wir annehmen dass sie „laufen müsste“. Unserer Erfahrung: Wir sind ständig irgendwie in Kontakt, ob oder wie wir einander erkennen oder nicht ist eine andere Frage…
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Hallo Pronomina, schön, dass Du hergefunden hast. Da scheint es Dir ja ähnlihc zu gehen wie mir… 🙂 Alles Liebe, s.
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Ich mag deine Texte 😉😉!! Ich empfinde sie immer als sehr erhellend und hilfreich.
Innenkommunikation – das Thema bei uns. Es klappt fast gar nicht. Fast egal was ich anstelle, Nix funktioniert. Als wenn es geblockt wird. Das ist ein schweres Thema und ich habe keine Ahnung wie das gelöst werden kann.
Liebe Grüße Lisa
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Hallo Lisa, danke fürs Lob. 🙂
Was hast Du denn bisher an Innenkommunikation von den Punkten, die ich oben aufgezählt habe?
LG s.
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Wow Artikel. Vielen Dank dafür.
Bei uns klappt es mit dem Kommunikationsbuch auch nicht so wirklich. Es ist verboten…
Na ja.
Aber bei uns läuft dennoch vieles. Über Bilder, gemalte aber auch die im Kopf. Stimmen natürlich auch. Das mit den Aspekten, die aus dem nichts kommen oder bei der Eis Bestellung, wo einfach wer mal ganz schnell sein Wünsch äußert. Über Gefühle die aus dem Nichts auftauchen. Oder Körper Bewegungen, ja auch Körper Schmerzen, wobei ich diese nicht so ganz kapiere, aber sie gehen, wenn ich darauf eingehe (und als würde dem wer zustimmen gab es eben so ne Ladung Schmerz am Zeh…). Und ja auch Flashbacks natürlich.
Echt toller Artikel. Danke euch.
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Ja, das versuche ich auch grade irgendwie „bewusst“ hinzukriegen. Die unbewusste Kommunikation passiert schon länger (habe ich nur nicht bemerkt). Das mit dem gemeinsamem Buch funktionierte bei mir nicht, auch Fragen direkt stellen nee gar nicht. Inzwischen habe ich gemerkt, dass meine Verteidiger und Beschützer jede Menge „ausdrücken“ (im Kampf und darin auch eine Botschaft liegt) auch Flashbacks sind Aussagen, die ich erst lange nachher begreife als Nachricht. Aber der Sucher ist eingestellt. Beim Blogschreiben, passiert es auch, dass sich da manchmal welche äußern. Aber mit vielen Äußerungen „vermischel“ ich mich noch immer total und halte sie im Jetzt für wahr. Fällt mir schwer sie auseinander zu halten, nur wenn es sehr arg wird – krieg ich es langsam getrennt und vermute, dass es wohl aus der Vergangenheit stammt.
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Hallo Melinas, ja es ist keine einfache Sache, die Innenkommunikation… Danke für die Feststellung, dass im Kampf die Botschaft liegt – das kenne ich. Ich finde das Modell, dass Dinge aus der Vergangenheit sich in die Gegenwart mischen und somit „nicht hierher gehören“ für mich oft schwierig… als dürfte das nicht sein, als wäre die Vergangenheit nicht Teil vom mir, sondern Teil von einem Hirngespinst. Weiß auch nicht – schwieriger Ansatz für mich. Extralieben Gruß, s.
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