+++ Shiatsu Special: Selbstverteidigung +++

Heute liege ich auf der Shiatsu-Matte. Es geht mir nicht gut. Mein Schlaf-Tracker hatte die schlechtesten Werte seit Beginn der Aufzeichnungen vor knapp einem Jahr; trotz Bedarfsmedikation habe ich heute Nacht wenig und schlecht geschlafen. Ich hatte zwei Tage vorher in der Arbeit einen blöden Fehler gemacht (den niemand gemerkt hat außer mir, trotzdem ärgerlich), ich hatte mich privat in eine überflüssige Stresssituation gebracht und zusätzlich habe ich eine Bestätigungsmail für einen Termin bekommen, der mich in meiner Helferkontakte=Täterkontakte-Welt in eine Notlage katapultiert. Letzte Woche bekam ich schon schlecht Luft, davon habe ich erzählt. Gleiches Problem, gleiche Behandlung, wünsche ich mir.

Was bisher geschah. Ich glaube nicht, dass ich einen Selbstverteidigungskurs brauche, aber um meine traumabedingt defekten Kampf/Fluchtreaktionen zu reparieren, gönne ich mir das Erlebnis. Ich möchte nicht unbedingt Techniken lernen, wie man Angreifer auf dreißig Arten k.o. schlägt. Ich möchte eine simulierte Attacke erleben und sehen, was es mit mir macht – abgesehen von der operanten Oberfläche, auf der ich mir sicher bin, dass ich angemessene Gewalt anwenden würde, wenn es notwendig sein sollte. Ich habe vorher nicht geoutet, dass ich seit Kindergartenalter Gewalterfahrungen habe, die mehrere Psychiater als „extrem“ bezeichnet haben. Ich habe nicht gesagt, dass mir vor über zehn Jahren eine posttraumatische Belastungsstörung diagnostiziert wurde oder gar, dass ich inzwischen eine DIS-Diagnose habe. Die Erfahrung, was abgesehen von der notwendigen Verteidiung im Moment des Angriffs sonst noch so in mir passiert, konnte ich in diesem Kurs nicht machen. Aber anderswo und unverhofft.

P.s Hände spalten meine Innenwelt in zwei Lager: Eines, das sich freut, auf angenehme Art geholfen zu kriegen, eines, das um Hilfe schreien will. P. hat ihre Hände am unteren Ende meines Brustkorbs: die eine Hand an meiner Rückseite zwischen mir und der Matte, die andere auf meiner Vorderseite. Meine uneinige Innenwelt erlebt eine Pendelei zwischen abwechselnd „angenehm“ mit der einen Hand am Rücken und „grenzwertiger Horror“ mit der anderen Hand gegenüber. Sie nimmt die Hand am Rücken weg. Rückenlage –  hythmischer Druck – egal wie sanft – ich kann nicht mehr! Meine Arme und Beine schnellen von der Matte empor in einer Abwehrbewegung. Fiepe ich? Ich weiß gar nicht. P. nimmt ihre Hände weg, wartet einen Moment, entschuldigt sich (unangemessenerweise), wartet und sagt: „Was brauchst du jetzt?“ – Ich aus ∑ich knipse mich ein und bewundere die Brillianz dieses Helfersatzes. Während jemand aus ∑ich gar nicht mehr denken kann und „alles gut“ japst (das stimmt auch und ich erinnere mich und verDISe es nicht), analysiere ich aus ∑ich die Situation und frage mich, warum ich mir noch niemals vorsagen musste: „P. ist nicht das Problem, der Feind ist in meinem Inneren.“ Niemand aus ∑ich findet, dass P. eine Gefahr darstellt, obwohl weil sie macht, was sie macht.

Es war, als hätte sie mit einem Rück ein Pflaster abgezogen, wie es im Leben oft passiert, und ich hätte erstmals in meinem Leben „au“ dabei gesagt. … während ich bis dahin immer so tat, als würde Pflaster-abmachen nicht schmerzen. In dem Moment erinnere ich mich an den Selbstverteidigungskurs, und wie sich die Praxisübungen dort nicht verbunden haben mit Gewalterinnerungen. Im Gegensatz dazu verbindet sich die Abwehrbewegung von soeben, die ich niemals zuvor machen konnte, die ich nicht einstudiert hatte und mir niemand beauftragt hat, mit den Angriffen von früher. Ich liege auf einer Shiatsu-Matte. Niemand simuliert einen Angriff. Ein paarmal sehr sanfter rhythmischer Druck auf meine Rippen und… das war Selbstverteidigung, nur im falschen Zeitalter.

P. wechselt die Seite, ist immer noch am unteren Rand meiner Rippen. Jetzt fühlt es sich eher an, als würde sie ein Pflaster drauf kleben. Ein Pflaster auf den ganzen Traumasch§$%, damit ich irgendwie nach Hause komme, ohne dass irgendwas aus mir raus rinnt oder ich erdrückt werde davon. Sie kommt dann noch zu meinem Kopf und hält ihn hoch – es ist immer ein ganz bestimmtes Ich, das sich davon angesprochen fühlt (174). Und ganz zum Schluss tut P. etwas, das sie noch nie getan hat. Es fühlt sich an, als würde sie mit einzelnen Strähnen meiner Haare… spielen? Dieses ∑Ich muss lächeln und will eigentlich zu P. sagen: „Wollen wir was spielen?“ P. verlässt den Raum und das Ich fängt beinahe zu weinen an. Es verkriecht sich unter der Decke und will nicht nach Hause. Wann hatte ich zuletzt jemanden an meinen Haarsträhnen? Als man mir als Kind die Haare geflochten hat.

Mir geht es schlecht, immer noch. Aber ich bin sehr froh, dass ich heute beim Shiatsu war. Es darf mir schlecht gehen. Heute darf es mir einen Tag lang schlecht gehen.


Kommentar? Gern!

Bildnachweis: pixabay / xusenru

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Ein Kommentar Gib deinen ab

  1. Pollys sagt:

    Ja, es darf einem auch mal schlecht gehen…. Danke für’s erinnern, so schnell passiert es, dass wir gleichsetzen, dass wenn es uns nicht so gut geht, dass wir etwas falsch gemacht haben.

    Gefällt 1 Person

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