246 in düsterer Zukunft: Wahlrecht oder Wahlpflicht?

Unlängst hat mir eine Freundin ihre Meinung über Menschen gesagt, die nicht wählen gehen. Ihre Argumente waren identisch mit denen im dystopischen Roman von Christina Dulcher. Ich muss zugeben: es sind gute Argumente. Natürlich hat jeder in einer Demokratie die Pflicht dafür zu sorgen, dass es eine Demokratie bleibt, und Frauen sollten am Wahltag würdigen, wie viel Mühe andere das Frauenwahlrecht gekostet hat. Kleinlaut dachte ich: Ich geh eh wählen – wenn mir nichts dazwischen kommt. Es kam auch schon vor, dass ich zu spät gemerkt habe, dass ich am Wahltag auf Geschäftsreise sein werde und ich Wahlkarten hätte beantragen müssen. Pech gehabt, Schulter gezuckt.

Was bisher geschah. Frauen, die als Gebärmaschinen für Regierungsmitglieder „gehalten werden“ und denen ein Auge ausgestochen oder eine Hand abgetrennt wird für „Sünden;“ Menschen, die in ihren eigenen Wohnungen vom Staat überwacht werden und nichts schreiben oder sonstwie aufzeichnen dürfen – und wenn doch einfach „vaporisiert“ werden: ausradiert, als hätte es sie nie gegeben; Regierungen, die Menschen auf ein tägliches Kontingent von 100 Worten limitieren und mit Elektroschocks traktieren für jedes Wort zuviel. Erschreckend, welche Ideen sich in so manchem Buch tummeln – und was das mit unser aller Leben zu tun hat.

In meiner staatsbürgerlichen Pflicht bin ich etwas verdrossen geworden über die Jahrzehnte. Dafür bin ich in derselben Zeit sehr viel bewusstere Konsumentin geworden: Ich treffe meine Wahl ganz bewusst für bio-zertifizierte Materialien, faire Arbeitsbedingungen und Langlebigkeit, besonders bei Kleidung und Möbeln. Immer, wenn man ein 4-Euro-Shirt kauft, sagt man wahrscheinlich ja zu Kinderarbeit, Umweltverschmutzung in der Landwirtschaft und Produktion, CO2-Emission durch extrem lange Transportwege. Ich weiß, dass ein Schnäppchen für mich immer aufkosten von irgend jemandem geht. Ich wünschte, jeder hätte das täglich vor Augen, anstatt nur dann, wenn wieder mal in Bangladesh eine Fabrik einstürzt und Arbeiterinnen unter sich begräbt. – Und da ist dann der jeweilige Konzern schuld. Nein, eben nicht. Es sind die jeweiligen Financiers, also die Konsumenten schuld. Wissen wir seit Gandhi.

Bemerkenswert bei den Kosten find ich, dass es das Lieblingsthema genau jener Leute in meinem Umfeld ist, die sehr viel mehr Geld für Kleinung ausgeben als ich. Viel fast Fashion zum Schnäppchenpreis kostet immer noch mehr als wenig Qualitätskleidung für faire Bezahlung.

„Ich kann mir teurere Shirts nicht leisten.“ – Mein Kind hat darauf für sich eine gute Antwort gefunden: Es shopt grundsätzlich nur noch second hand, wo es Markensachen günstig findet, nach dem Motto: Die nachhaltigste Kleidung ist die, die nie produziert wurde.

Ich hab’s nicht nötig, den Planeten oder seine Bewohner auszubeuten, weil ich erstaunlich viele Dinge nicht brauche – und dadurch Geld spare.

Ich wähle nicht nur am Wahltag, ich wähle jeden Tag. Ich weiß, dass ich mit jedem Euro, den ich ausgebe, eine Industrie finanziere. Ich bemühe mich, jeden Tag durch meine Konsumentscheidungen „ressourcenschonend“ und „menschenwürdig“ zu wählen.

In dem Bereich bin ich also sehr froh über meine bewusste, wichtige Stimme. Und wenn’s um die Wahl von Politikern geht, möchte ich wieder ein bisschen bewusster werden.

Kommentar? Gern!

Mehr zu dystopischen Romanen und Filmen/Serien: 245 in düsterer Zukunft: Dystopien

PS: Join me… Dieses Jahr hab ich erstmals Fastenzeit-Ziele: Ich möchte Wasser fasten (nur trinken, was aus der Leitung kommt, keine Flaschen/Tetra-Paks etc.), to-go-Verpackung fasten (immer meine eigenen Transportbehältnisse dabei haben oder nichts kaufen) und TV fasten. Ja, ich konnte mich nicht entscheiden. Es ist noch eine Weile bis Ostern. Auf welche Challenge hättest Du Lust?

PS: Unlängst hab ich gehört, dass Gandhi in seinen Ashrams drauf bestanden hat, dass er genauso  Kloputzdienst macht wie jeder andere dort. Gandhi war echt einer, der verstanden hat, wie mächtig und einend es sein kann, sich mal kurz Privilegien wegzudenken. Schade, dass Gandhi-Denkmäler ihn nicht mit einer erhobenen Klobürste abbilden – das wäre ein Zeichen für kommende Generationen von Männern und Frauen, die ja auch im 21. Jahrhundert immer noch manchmal selbstverständlich finden, dass ihnen jemand hinterherputzt.

Bildnachweis: Pixabay stocksnap

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3 Kommentare Gib deinen ab

  1. DISsenseME sagt:

    Wahlpflicht schließt die Freiheit „sich nicht zu äußern“ aus – wäre unserer Meinung nach nicht demokratisch, denn Demokratie soll ja auf der Freiheit jedes Einzelnen aufbauen. Freiheit besteht im Wesentlichen nicht nur darin etwas zu tun, sondern auch etwas zu lassen.

    Mit dem Fehlen der zweiten Option sind bei uns und wir denken auch bei anderen aus der Community erst Traumata entstanden.

    Die Aussicht auf Wahlpflicht macht uns Angst. Das kann sehr nach hinten losgehen. Die meisten, die eine Wahlpflicht verlangen, denken, dass so eine vermeintlich bessere Regierung entstünde. Wir denken, dass es nicht der Fall sein würde, sondern dann die Leute erst recht extremer wählen würden, um irgendwo ihren Unmut über die Pflicht und das Handeln der Regierung auszudrücken.

    Aber das ist nur unser Mist, der dann durchs System kreist. Wir können hier auch keinen zwingen mitzumachen, dass macht meistens die Außenwelt. Aber wir wollen hier auch den Zwang von Innen nicht einführen ^Schulterzuck^

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    1. Hallo Dissenseme, ich gebe Dir total recht! Ich wollte damit sagen, dass Du bei jedem Euro, den Du ausgibst, sowieso für etwas wählst. „nicht wählen“ ist also nur möglich, wenn du komplett autark lebst und nicht mal med. Dienstleistungen zukaufen muss. Und ich denke, dass wir alle uns bei dieser Wahl zu wenig bewusst sind… verstehst Du, was ich meine? lg s.

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  2. DISsenseME sagt:

    Entschuldigt bitte – wir waren eine ganze Zeit lang ziemlich neben der Spur und lesen eure Antwort jetzt erst.

    Also ich kann das Verstehen, was du meinst. Es ist wie im Innen auch, wenn jemand seinen Senf zurück hält oder erst später klar macht, für oder gegen was er/sie/es war. Die Entscheidungen fallen, ob mit oder ohne einen – so lange man sich beteiligen konnte und es nicht getan hat, muss man damit leben, was entschieden und umgesetzt wurde. Und auch eine Enthaltung ist eine Entscheidung – nicht zu letzt dafür:

    Geschehen zu lassen, was andere für einen entscheiden.

    LG Fluse von uns

    Gefällt 1 Person

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