190 Kindererziehung – vier Sätze, die ich mir immer wieder vorsage (öffentliche Version)

„Mama, ich hab gute Nachrichten für dich!“ posaunt mein pubertäres Kind, während es die Schultasche in die Ecke wirft. – „Nämlich?“ –

„Ich hab beschlossen, ich mache weniger mit meinen Absturzfreunden und mehr mit meinen anderen Freunden.“ Ich muss loslachen. „What the heck sind Absturzfreunde?“ – „Naja, ich find das eigentlich schon voll Absturz, wenn man mit vierzehn raucht und kifft.“ – „Mein Gott, was für eine Wortkreation,“ freue ich mich. „In dem Fall finde ich, das sind in erster Linie gute Nachrichten für dich.“ – „Aber du musst dir weniger Sorgen um mich machen, oder?“ – „Ja, stimmt. Trotzdem hat deine Wahl, mit welchen Menschen du dich umgibst, in erster Linie Auswirkungen auf dein Leben. Es ist deine Verantwortung.“ – „Hm. Ja.“

Ja, mein Kind hat eine gewisse Straßenköter-Liebe. Es wendet sich bedürftigen Menschen eher zu als davon ab. In den letzten Monaten musste ich mir das mantraartig vorsagen, dass das eine gute Eigenschaft ist. Wir wohnen in einem top-drei-reichsten Landkreis unserer Republik, und die „Straßenköter“, die ich meine, sind mehrheitlich wohlstandsverwahrloste Kinder. Ihre Eltern sind teilweise Diplomaten, was sie einerseits alle paar Jahre entwurzelt und untopft, andererseits sind sie per Immunität vor Strafverfolgung geschützt.


Mein Kind und ich haben (197 Wörter entfernt; hier geht’s zur passwortgeschützten Verison) „Ich beneide [es] wirklich um [seine] Mutter,“ seufzt meine Bekannte. Das meint sie als Kompliment.


„Ich hätte keine Kinder haben wollen,“ sagt mir eine Freundin, die sehr weit weg wohnt und mich zweimal im Jahr besucht. „Man kann so viel falsch machen!“ – „Wenn man sich Mühe gibt, könnte man auch einiges gut machen,“ sage ich, mein Glas Rioja schwenkend. „Ich wüsste ständig nicht, wie ich reagieren soll! Ich bin noch immer ganz geflasht, als ich damals dabei war, als R. dir erzählt hat, dass sich Freunde getroffen haben, um sich gemeinsam … (37 Wörter entfernt)

Ich erinnere mich noch. Es gibt nur wenige feste Grundsätze in meiner Kindererziehung. Einer davon ist: #1 Mach keinen Polizeibericht draus. Ich möchte keine Richterin im Leben meines Kindes sein, sondern eine Stütze. „Wer war da dabei? Wessen Idee war das?“ etc. ist unwichtig. Ich habe gefragt: „Wie ging es dir damit, da zuzusehen?“ Und: „Was hat dich davon abgehalten mitzumachen?“ … als sich herausgestellt hat, dass mein Kind eben nicht mitgemacht hat. Danach wollte mein Zwölfjähriges von mir und meiner Freundin wissen, warum … (25 Wörter entfernt)

„Als R. meinte, [es] fühlt sich schlecht, weil [es] als einzige[s] nicht mitgemacht hat, hast du ihr erklärt, dass jede Mutprobe zwei Seiten hat und man immer mutig ist, egal wie man sich entscheidet.“ – „Stimmt ja auch: Entweder war man mutig und hat die Mutprobe geschafft oder man war mutig und hat dem sozialen Druck standgehalten.“ – „Natürlich stimmt das, nur würde mir sowas nicht einfallen.“ – „In dem Fall hatte ich Glück, dass mir das eingefallen ist. Ich hab auch nicht immer eine Antwort, aber ich versuche mich drauf zu fokussieren, was ich in meinem Kind bestärken will. In dem Fall wollte ich bestärken, dass es sich auch in Zukunft nein sagen traut im Freundeskreis. Und ich fand das bereichernd, wie gut du das erklärt hast aus deiner Perspektive.“ – „Es muss einfach großartig sein, so aufzuwachsen. Schon als Kind so selbstbewusst zu sein und zu wissen, was man will. Und das auch tun.“ – „Ja, das kann mein Kind ziemlich gut. Mein Highlight ist immer noch, als es mit 10 an die neue Schule kam, niemanden kannte, und meinte: … (114 Wörter entfernt) – „Mein Gott, ich musste über dreißig werden, bis ich mich einigermaßen mochte! Was für ein Leben,“ schwärmt meine Freundin. Genau das Leben, das ich meinem Kind wünsche, denke ich mir.

Andere Sätze, an denen ich mich gerne orientiere als Mutter sind:

  • #2 Achte auf deinen Alltag als Mutter. Für meine Kinder ist mein Alltag ihre Kindheit.  – Und das geht so schnell, dass man in einen energiesparenden Trott fällt…
  • #3 Die Art, wie wir mit unseren Kindern sprechen, wird ihre innere Stimme. Peggy O’Mara – Ich wünsche mir für mein Kind andere innere Stimmen, als ich sie leider habe.
  • #4 Verbreite Liebe in deinem eigenen Haus. Denn das ist der Ort, an dem Liebe beginnen muss. Mutter Teresa – Immer mal wieder höre ich, wie beschränkt, nämlich beschränkt aufs eigene Haus, Frauen sich fühlen, nachdem sie Mutter geworden sind. Als Mutter leiste ich einen sinnvollen Beitrag zur Welt. Als mein Kind Baby war, sah ich das vielleicht anders, aber inzwischen fühlen sich meine Zeit und meine Nerven bei wenigen Dinge in meinem Leben so gut investiert an wie mit meinem Kind.

Ich bin gerne Mama. Ich bin schwer komplex traumatisiert, aber ich bin wirklich gern Mama.


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Bildnachweis: Pixabay / 5540867

12 Kommentare Gib deinen ab

  1. Danke – ich finde diese vier Sätze super. 🙂

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    1. gern. 🙂 Was sind Deine Leitsätze der Kindererziehung? lg

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      1. Hmm – ich bin wohl nicht so der Leitsatztyp – auch wenn ich gerne die Leitsätze von anderen lese und mir das behalte, was ich gut finde. Was mir wirklich wichtig ist in der Erziehung, oder überhaupt, im Zusammenleben mit meinen Kindern, ist grenzenlose Annahme. Das sie wissen, sie sind gewollt und geliebt, egal, was ist. Das ist das Fundament. Darauf kommen dann mehr oder weniger wichtige Komponenten, die zu unterschiedlichen Zeiten unterschiedlich viel Gewicht haben. Mir ist es auch sehr wichtig, dass meine Söhne die Sicherheit haben, dass sie bei Bedarf mit mir über alles sprechen können. Dass wir als Eltern uns für sie interessieren: was interessiert und bewegt sie? Wer sind sie tief im Inneren? Dass sie sich gesehen fühlen. Ach – und dann kommen viele klitzekleine oder größere Dinge. LG zurück 🙂

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        1. Hm. Ich denke, das ist eine Einstellung, die die meisten Eltern formulieren (sogar meine Mutter!) – und dann daran scheitern. Wenn cih als Kind oder Jugendliche ein Problem hatte, dann hatte ich das allein PLUS nochmal ein Extraproblem, dass meine Mutter davon erfahren könnte. Ich glaube, es ist sehr schwierig, sich als Eltern so zu verhalten, dass Kinder unbequeme Dinge auch echt „gern“ erzählen. Mein Kind und ich hatten vor ein paar Tagen ein solches Gespräch, und klar weiß ich, dass eine Reaktion wie „Wie konntest du nur!“ oder „Spinnst du?! WEißt du wie gefährlich…“ ziemlich viel kaputtmachen würde von dem, was wir miteinander haben. Trotzdem finde ich das in der Pubertät schon schwer, sich das ab und an zu verkneifen. :-/ Naja, diesmal ging das…
          Ich übe immer noch das Mama-Sein – seit über einem Jahrzehnt. 🙂
          Alles Liebe s.

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        2. Ja – natürlich ist das ein Ideal. Und es gibt Momente, in denen ich denke: das schaffe ich nicht wirklich. Mir rutscht auch manchmal so etwas heraus, wie du schreibst. Ich versuche dann mit den Jungs (nur Jungs hier) darüber zu reden. Und ich entschuldige mich für Dinge, die schief gelaufen sind. Bisher denke ich, dass sie kommen, wenn was ist (auch wenn der „Peinlichkeitsfaktor“ in der gerade beginnenden Pubertät des Ältesten den Erzähdrang doch etwas bremst). Der ältere Sohn ist jetzt knapp dreizehn. Wie es dann weitergeht,,, weiß mann ja nicht. Ich hoffe es bleibt insgesamt so offen, wie es jetzt ist. Aber das ist Neuland.
          Ja – das Üben ist immer wieder notwendig… von Können und Haben kann keine Rede sein 😉
          Viele liebe Grüße,
          Bettina

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  2. emilia2012 sagt:

    mich nervt das. Jedes Mal wenn ein PW geschützter Artikel online geht, bekomme ich KEINE Nachricht. Bin jetzt raus als Leserin.

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    1. Hallo emilia, das tut mir leid. Bist Du bitte so nett und schickst mir Deine Email Adresse an sonrisa.mussorgsky@gmail.com? Dann kann ich nachsehen, was da los ist. Ganz liebe Grüße, s.

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  3. wieort sagt:

    Mich wirft das Geschützte auch aus der Bahn. www ist für mich weltweit öffentlich. Die nächste, logische Frage beantworte ich mit: Leider nein! – Wenn ich E-mailen könnte, würde ich zuerst meinen verlorenen Goldring bei den beiden betroffenen Fundbüros beschreiben wollen und wenn ich mein zu kompliziertes Leben im Griff hätte, hätte ich nicht täglich teure Fehlleistungen: Letzter traurige Höhepunkt: Verloren Samsung, Galaxy A3. Es war glasklar ganz wenig abzusuchen: Bei Pius war mein IV-Assi nach mir weggegangen. Mein Auto habe ich abgesucht und in meiner Wohnung war es weg. – Will jmd. sein Leben verkomplizieren? Ich weiss, wie frau das spielend hinkriegt.

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    1. Hallo Wieort, das tut mir leid. Empfindest Du das so, dass das Internet an allen Stellen für jeden zugänglich ist? (ich nämlcih nicht) Wie geht es Dir damit, dass Du nicht in mein online-Banking kommst? (da komm hoffentlich nur ich rein und sonst niemand…)
      Ich finde das spannend, dass Du kommentieren kannst (wo ja WordPress die IP mittrackt) und Emailen nicht. Magst Du mir erklären, was der Unterschied ist?
      Ganz lieben Gruß von s.
      PS: Ich schreibe echt selten PW geschützte Beiträge, finde ich, oder?

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      1. wieort sagt:

        Kommst du nicht über meinen Nick bzw. Aviatar in meinen WordPressblog? Da habe ich alle deine Fragen schon mehrmals beantwortet, öffentlich zugänglich, nur die Kommentare kontrolliere ich, auch die erst schlechten Erfahrungen.

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  4. Rose sagt:

    Hallo Sonrisa,

    mich ermutigt sehr was Du schreibst. Weil es zeigt dass gute Kindererziehung/-Begleitung trotz blödester und schlimmster eigener Erfahrungen möglich ist. Das macht mir Mut für später, dass ein eigenes Kind vielleicht doch möglich ist ohne meine Traumafolgen/-Erfahrungen direkt oder indirekt weiterzugeben.

    Liebe Grüße,
    Rose

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    1. Hallo Rose, ich glaube daran, dass es möglich war und ist. Trotzdem gebe ich zu, dass ich mich vermutlich ans „Babyprojekt“ nicht oder sehr viel ängstlicher gewagt hätte, wenn ich damals vom Trauma etwas geahnt hätte. Ich habe heute mal wieder ein Zitat gelesen, das ich mir notiert hatte, als ich „Eine Liebe für den Frieden“ (Biographie von Suttner & Nobel) gesehen hatte: „Ist es nicht seltsam, dass dem Menschen kaum etwas so misslingt wie die Familie?“ – will sagen: Auch Einsmenschen, sogar ziemlich traumafreie tun sich mit Kindern / Familie manchmal echt schwer… Ich denke, eine gute Startposition ist, dass man sich ein Kind wirklich udn wahrhaftig WÜNSCHT, mit all seinen Eigenheiten, Schwierigkeiten, mit all seinem Lachen und Strahlen. Ganz lieben Gruß schickt s.

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