052 Selbstmord (1) im Zeitverlauf

Selbstmord ist keine Lösung, liest man ständig irgendwo. Wenn einen das PTBS-Gehirn auf eine Art und Weise dauerfoltert mit Schlafentzug und Flashbacks, dann kann es passieren, dass man schlussfolgert, die Schäden am Gehirn wären zu schlimm, als dass man damit leben könnte (überleben irgendwie geht vielleicht, aber leben?). Man denkt nur noch: Gehirntransplantation, bitte!

Wenn das lange so geht, denkt man irgendwann – in Ermangelung von Gehirntransplantation – vielleicht: Selbstmord.

Zwei Mal in meinem Leben war ich beängstigend suizidal. In der Zeit davor, dazwischen und danach hätte ich einen Selbstmord in meinem Leben völlig unlogisch, unangemessen, unverständlich und unmöglich gefunden. Zwei Mal in meinem Leben war ich suizidal – und zweimal aus völlig unterschiedlichen Gründen.


(Im Jahr 200x – akute Belastungsstörung & posttraumatische Belastungsstörung.) Die Flashbacks plus der Schlafentzug plus mein fordernder Alltag brachten mich auf ein Level an Verzweiflung, das ich noch nie zuvor erlebt hatte. Ich hatte alle meine Möglichkeiten der Problemlösung ausgeschöpft und meine sehr, sehr motivierte Therapeutin (Anm. KR) die ihren – und ich konnte immer noch nicht schlafen. 70% meiner Wachzeit „verbrachte“ ich mit Bilder-Flashbacks. In 24h bin ich mit Glück für 2h in einen Erschöpfungsschlaf versunken – das erste nach dem Aufwachen waren dieselben Flashbacks wie vor dem Schlafen. Das ging für mehr als sieben Wochen so. Irgendwann redete die Verzweiflung mir ein, Suizid wäre der einzige effektive Flashbackstopper. Ich wollte nicht sterben. Ich wollte nur die Flashbacks stoppen. Ich wollte endlich eine einzige Nacht schlafen – und war sicher, die Welt würde dann gleich ganz anders aussehen.

Überlebt habe ich nur, weil mein Mann gefühlt die ganze Zeit meine Hand hielt und meine Therapeutin – eigentlich ohne effektive Maßnahmen parat zu haben und ohne die korrekte Diagnose auch nur zu ahnen – mich regelrecht von Treffen zu Treffen trug. Meistens trug, manchmal zerrte, manchmal schubste – und sie hat es jedesmal richtig gemacht und mich nie geschubst, wenn ich getragen werden musste oder umgekehrt. Aus heutiger Sicht ist es ein Wunder, dass ich das ausgehalten habe und dass meine beiden Helfer keinen Tag locker gelassen haben.

aus 007 Skills-Training (1): über Leben und Tod und Zeitreisen

Fazit: Die Bezeichnung „einfache PTBS“ sollte neu benamselt werden. Keine PTBS ist jemals einfach – meine akute Belastungsstörung und die klassischen PTBS Symptome danach waren nicht nur lebensbehindernd, sondern lebensbedrohlich.


Im Jahr 20xx – komplexe posttraumatische Belastungsstörung. Wenn du mich im Juli 2017 gefragt hättest, warum ich damals auf der Akutpsychiatrie war, hätte ich geantwortet: „Weil ich plötzlich eine Horrorvision von Schritten am Gang im Kopf hatte, weil ich davon nicht mehr schlafen konnte. Weil ich in der Arbeit phasenweise die einfachsten Dinge nicht tun konnte und ich daher Angst vor dem Telefon hatte… dass es läutet, dass mich jemand etwas fragt… Und weil ich von jetzt auf gleich sehr komische Abgrenzungsideen meinem Mann und meinem Kind gegenüber hatte, die mir sehr fremd und eigenartig vorkamen… die ich nicht länger als ein oder zwei Tage ertragen konnte, nachdem sie sich angeknipst hatten… und an denen habe ich gemerkt, dass etwas mit mir nicht stimmt. Das war unendlich gruselig. Und Starreanfälle bis zu viermal pro Woche bis zu sechs Stunden lang – ging einfach nicht mehr. Darum Akutpsychiatrie.“ – „Was meinst du mit Abgrenzungsideen?“ – „Ich war überzeugt: Sollten diese Schritte am Gang eine Erinnerung sein, bin ich Abschaum. Dann färbe ich seit Jahren negativ auf meinen Mann und mein Kind ab – das wäre nicht zumutbar. Ich wollte keinen Kontakt mehr mit meinem Mann… ich wollte, dass er für unser Kind eine bessere Mutter sucht als mich – denn ich bin Abschaum. Sehr schräg. Zu schräg, um drüber zu reden. Keine Ahnung, was da in mich gefahren ist.“ – „Umbringen wolltest du dich aber nicht damals?“ – „Nein,“ hätte ich gesagt.

Was sind die Fakten? Im Akt meines Krankenhausaufenthalts las ich entrüstet im August 2017: „Selbstmordabsichten mit Konkretisierung.“ … hab ich wohl verDISt. „mittelgradig depressive Episode,“ hab ich auch verDISt – ich bin doch nicht depressiv, bitte?!

Wie bewerte ich das aus heutiger Sicht?

  • Die damals zusammenhanglosen Schritte am Gang kann ich heute zuordnen; heute weiß ich, welcher Horror danach startete (030). Ich nenne es nicht mehr Horrorvision, ich nenne es (endlich) Erinnerung – Jahre später anerkenne ich das so.
  • Ich bemerkte damals, dass ich teilweise (v.a. wenn ich allein in einem Zimmer war) nicht mehr sinnerfassend lesen konnte. Hm, vertusch das mal in der Arbeit… vertusch das mal vor dir selbst. Diese Erkenntnis ist zu verrückt, als dass sie ein psychosefreies Gehirn laut denken könnte. Heute bewerte ich das als unkontrollierte (und vor allem dysfunktionale) Wechsel zu weniger befähigten Anteilen. Die zu verheimlichen wurde ein so enormer Stress, dass darüber mein System auseinanderfiel.
  • Jene weniger befähigten Anteile waren nicht nur in der Arbeit, sondern auch mit meiner Rolle als Ehefrau und Mutter überfordert. Wahrscheinlich fühlte sich dieses eine Ich, das damals (unfreiwillig?) so viel am Ruder war, nicht mal verheiratet – es war gefühlt zu klein für eine Ehe und auch zu klein für Mutterschaft. Es mochte meinen Mann (fürchtete sich aber auch vor ihm) und es liebte unser Kind – und daher wollte es dafür sorgen, dass beide ohne mich glücklich werden würden.
  • Diese Abschaum-Dynamik verstehe ich bis heute nicht. Keine Ahnung welcher (innere?) Dämon mich da übermannt hat – denn so fühlt es sich an: Eine fremde Ideologie kriecht in meinen Körper und lebt mein Leben nach fremden Selbstüberzeugungen.

Nun kann man denken: Es war in vielen Punkten so deutlich, dass hier ein Innenkind aufgetaucht ist, das sich nach Kräften bemüht hat, in der Arbeit, in der Ehe, in der Elternschaft eine Erwachsene zu imitieren – aber am Ende weder die Fähigkeiten, noch die Reife, noch die Energie für mein Leben hatte. Es ist in vielen Punkte so deutlich, dass hier ein traumanahes Ich die Bühne meines Lebens betrat, das nichts anderes kannte und konnte als: „Alles ist fürchterlich,“ und „Der Körper ist böse / unbrauchbar (zu groß, zu fremd, zu belastet, zu bedrohlich).“ … daraus wurde: „Ich muss den Körper los werden, ich muss meine Lebensinhalte loswerden, denn ich bin untouchable.“

Entdeckt werden ist lebensgefährlich – demnach wollte ich nur noch tot sein. Denn nicht-entdeckt werden war mit so viel Dysfunktionalität nicht mehr möglich. Häufige Staffelübergaben (010) finde ich bis heute eine äußerst kräfteraubende und unschöne Innenerfahrung – und das wilde Gewechsle damals war so unerträglich, dass ich tot sein wollte. Anders als 200x – Selbstmord als Fluchtweg vor meinen unerträglichen Symptomen! – waren meine Selbstmordabsischen 20xx begründet im Entdeckt-werden der DIS vor mir selbst und anderen. Wie ist es heute mit meinen Selbstmordabsichten? Fortsetzung folgt.


Der nächste Teil dieses Artikels über Kunsttherapie 053 wird am Sonntag passwortgeschützt online gehen. Mehr Infos und Anmeldung

5 Kommentare Gib deinen ab

  1. MrsTingley sagt:

    Hui, die Gefühlswelt kann ich so fast komplett auch für mich unterschreiben, wenn es um diese Phasen mit Suizidgedanken geht… Danke fürs in-Worte-packen…

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  2. E. sagt:

    wow sehr gut geschrieben. Danke fürs teilen. Alles Liebe weiterhin! Lg.E.

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  3. “ benamselt“ – ist das ein schönes und lustiges Wort. 😀

    In dem Beitrag find ich mich sehr wieder. Danke für’s teilen! Manchmal ging es mir anders herum auch schon so, dass ich mir dachte: „Wie bitte, mittelgradige Depression!? Wie schlecht soll man sich denn für eine schwere Depression noch fühlen!?“

    Viele Grüße und alles Liebe! 😊

    P.s.: Euere letzten Beiträge erscheinen leider nicht in meinem Reader. Habt ihr eine Ahnung, woran das liegen könnte?

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    1. ad PS: keine Ahnung, in meinem Reader schon… Technik… zzzz!

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      1. Aber wirklich! Mal sehen, ob sich die Technik auch wieder umentscheidet …😉

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