144 eine psychiatrische Begutachtung überleben: Begleitperson und über Symptome sprechen

Noch mehr Tipps für eine psychiatrische Begutachtung: Reizthema Begleitperson, sich von skeptischen Fragen nicht triggern lassen und Fragen korrekt beantworten trotz Gedächtnisproblemen für Symptome – wie geht das?

Reizthema Begleitperson. Für mich war etwa klar, dass ich auf keinen Fall noch einmal ohne Begleitperson eine Begutachtung eines männlichen Arztes ertragen werde. Das ist ein fürchterlicher Trigger – allein mit dem in einem Raum -, der einen Unterwerfungsmodus aktiviert, das geht echt gar nicht. (Wie es rechtlich damit aussieht, habe ich in einem der vorangegangenen Artikel geschrieben.) Ich hatte eine fachärztliche Empfehlung, dass ich nur mit Begleitung in die Begutachtung soll. Damit kannst Du vorab eine Entscheidung der Versicherung verlangen – hunderte Kilometer zur Begutachtung zu fahren, um dann zu hören, dass der Gutachter die Begleitperson nicht zulässt, ist beängstigend. Diesmal hatte ich das Okay der Versicherung. Wie habe ich es bekommen? Zuerst habe ich mich auf drei Gerichtsurteile der letzten Jahre berufen, die das Recht auf eine Begleitperson festgestellt haben. Das hat der Versicherung nicht gereicht, ich hätte klagen müssen, was meinen Anspruch um Monate oder Jahre verzögert hätte. Daraufhin habe ich von der Versicherung verlangt:

  • entweder die schriftliche Zusage für die Begleitperson ODER
  • eine Haftungsübernahme bei Ablehnung der Begleitperson verlangt, da ich das Risiko kommuniziert, das ich in dieser Situation sehe – und ich kann / möchte für diese Begutachtungssituation nicht haften: nicht für meine Sicherheit, und auch nicht für die des Gutachters.

Die Versicherung hat sich für die Begleitperson entschieden.

Wenn sich die Begleitperson ins Geschehen einmischt, kann sie vom Gutachter weggewiesen werden. Überlege Dir, wen Du mitnimmst. Ich muss zugeben, dass es für mich einerseits eine riesige Unterstützung war, meinen Mann dabei zu haben, andererseits aber fürchterlich war, vor ihm so zu reden: von Selbstmord, von schlimmen Dingen, vom Schwachsein und vom Schwachsinn.


Glauben oder nicht glauben? Ein Gutachter hat vermutlich öfters mit Menschen zu tun, die ihn anlügen, um eine Versicherungsleisung zu bekommen, die ihnen vielleicht nicht zusteht. Es ist seine Aufgabe herauszufinden, ob Du Deine Symptome übertreibst, ob Du ernsthaft an einer Besserung arbeitest und was genau Du dafür tust, und am Ende auch, ob Du die Wahrheit sagst. Die Aufgabe des Gutachters ist, skeptische Fragen zu stellen. Das kann triggernd sein für traumatisierte Menschen: eine Person vor sich zu haben, die eine kritische Haltung dem Trauma gegenüber hat. Was hat mir geholfen, trotzdem ruhig zu bleiben?

  • Der Gutachter hat eine andere Rolle als Therapeuten oder Psychiater, die einem als Traumapatientin grundsätzlich glauben (jedenfalls ist das meine Erfahrung). Es war wichtig, dass ich mir während der Begutachtungssituation immer wieder vorgesagt habe: Ich darf es nicht persönlich nehmen, dass er jene Menschen, die für eine Versicherungsleistung lügen, identifizieren muss. Seine Aufgabe macht ihn weder zu einem schlechten, noch zu einem gefährlichen Menschen.
  • Damit das Glauben nicht in ein Ringen ausartet, habe ich versucht, meine Anschauung darzustellen, so gut ich konnte, und dann loszulassen. Ich kann den Gutachter nicht zwingen, mir zu glauben. Ich weiß, dass ich die Wahrheit sage – und mehr kann ich nicht tun. Es hat mir geholfen, unmittelbar vorher meinen eigenen Artikel (125) nochmals zu lesen.

Gute Dokumentation ist hilfreich. Eines meiner vorrangigen Traumasymptome sind Erinnerungsprobleme. Es gibt Fragen, die ich gut beantworten kann, etwa: „Wie beeinträchtigen Flashbacks Ihren Alltag und was tun Sie aktiv, um mit der Belastung umzugehen?“ Bei der letzten Begutachtung konnte ich andere Fragen oft nicht oder nur sehr vage beantworten: Wie viele Nächte waren im letzten Monat beeinträchtigt von Schlafstörungen? Wie hat sich die Schlafstörung entwickelt, wenn Sie den letzten Monat mit heute vor einem Jahr vergleichen? Welche Symptome beeingträchtigen außerdem Ihre Arbeitsfähigkeit und wie oft und warum? Symptome fallen meinen memory problems zum Opfer. / Gleich nach Traumainhalten, sind Symptome dasjenige in mienem Leben, was am zuverlässigsten verDISt wird. / Mein Alltagsteam hat kaum Zugriff auf Traumasymptome und streitet ab, dass es Probleme im Alltag gibt. Ganz entscheidend bei dieser Begutachtung war,

  • dass ich monatelanges sehr detailliertes Symptomtracking mitgebracht hatte und ganz genau Auskunft geben konnte über Fragen, die das Alltagsteam beim letzten Mal total herabgespielt hat oder gar nichts dazu sagen konnte,
  • dass daraus ganz klar Korrelationen sichtbar werden zwischen meinem Arbeitspensum und der Schlafstörung oder meinem vollständigen sozialer Rückzug,
  • eine genaue Liste der Maßnahmen (z.B. Skills oder Medikamentenänderungen), die klar darstellt, dass, wie konstant und wie genau ich an der Reduktion meiner Einschränkungen arbeite.

Diese Dokumentation war unfassbar wichtig und vermutlich ein Hauptgrund, warum das Gutachten diesmal anders ausgefallen ist als beim letzten Mal. Hier findest Du eine Vorlage zum Ausdrucken für einen Symptom- & Maßnahmen-Tracker bei dissoziativen Störungen / komplexer PTBS und hier weiteres Tracking. (Ich mache das eher für mich, für bessere Rücksichtnahme untereinander im System, und würde nicht alles einem Gutachter offenlegen wollen. Ich hätte nicht erlaubt, dass der Gutachter mein Tagebuch kopiert, aber es half mir sehr, es in der Hand zu halten, um seine Fragen genauer beantworten zu können – ohne mein übliches Nicht-Erinnern von Symptomen und deren Herabspielen, präzise und den Tatsachen entsprechend.)


Hattest Du schon mal eine psychiatrische Begutachtung? Wie hast Du Dich währenddessen gefühlt? Was hat / hätte geholfen, um die Belastung währenddessen ein bisschen zu reduzieren?

Im Beitragsbild: Die Leibspeise der Giraffen, die Akazie – intelligenteste und vorsichtigste Pflanze der Welt. Giraffen pflücken immer nur wenige Blätter vom selben Baum, denn wenn sie mehr fressen, verständigen sich die Bäume mit Botenstoffen aus ihren Wurzeln untereinandern und senden Bitterstoffe in die Blätter. Sie werden damit kurzzeitig ungenießbar, und die Giraffen müssen weiterziehen. Die Welt ist ein wunderbarer Ort.

Hier geht’s zum ersten Teil dieses Artikels.

3 Kommentare Gib deinen ab

  1. Anmati sagt:

    Ja wir hatten auch schon mal eine psychiatrische Begutachtung,um festzustellen ob wir noch arbeitsfähig sind oder nicht.
    Und vor diesem Termin war totale Panik (da wusste ich allerdings noch nichts von DIS)
    Doch ich hatte wohl sehr großes Glück, es war eine Ärztin,was ich schon mal sehr beruhigend fand und sie war sehr behutsam und mitfühlend.Klar die Fragen die sie stellte waren schon …. Na sagen wir mal …sehr triggernd und ich brach auch öfter in Tränen aus. Aber sie muss ja was fragen…Selbst als ich die körperliche Untersuchung unter Tränen verneinte und ablehnte,blieb sie freundlich und meinte,sie denkt auch das es wohl zu viel wird. Nach einer Stunde sagte ich auch das es mir echt zu viel ist und sie brach dann sich sofort ab…..
    Und das ergebniss fiel auch zu meinen Gunsten aus, sogar zwei Jahre rückwirkend… Aber trotz allem, hatte ich sehr lange mit den Nachwirkungen zu kämpfen

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  2. Birke E. von ZEiTENMOSAiK sagt:

    Erkenne mich sehr wieder in der Formulierung: „Mein Alltagsteam hat kaum Zugriff auf Traumasymptome und streitet ab, dass es Probleme im Alltag gibt.“… Danke dafür

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    1. … gern. 🙂 vor einer Therapeutin okay, vor einem Gutachter – eine Wahnsinnstat eigentlich… alles Liebe schickt s.

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